«Und worüber bloggst Du?»

Blogging

Am vergangenen Samstag habe ich an der Blogcamp Switzerland teilgenommen, mein erstes Mal an einer Bloggerkonferenz. Ich stand morgens um 6 Uhr in Genf auf, um nach Zürich an die ETH zu reisen und aktiv den Schritt von Online nach Offline zu wagen. Eines vorneweg: Es hat sich gelohnt. Einerseits endlich die Gesichter hinter Blogs zu entdecken, welche man schon seit Jahren liest. Andererseits habe ich einige interessante Anregungen inhaltlicher Natur mitgenommen.

Das Format der Konferenz orientierte sich am Barcamp-Vorbild, einer Art ad-hoc-Treffen («un-conference») ohne im Voraus definiertem Programm. Um dem schweizerischen Organisationsbedürfnis Rechnung zu tragen erlaubte Co-Veranstalter Peter Hogenkamp dennoch die Möglichkeit, im Voraus einen Vortrag anzubieten. Nachfolgend eine Zusammenfassung der von mir besuchten Vorträge:

Bondyblog: birth of a citizen media

Der Journalist und Berater Bruno Giussani stellte das französische Bondyblog vor. Das Weblog wurde vom Westschweizer Hebdo auf die Beine gestellt und berichtet vom Leben in der Pariser Banlieue Bondy. Zu Beginn schickte l’Hebdo abwechselnd alle zehn Tage einen anderen Print-Journalisten nach Bondy. Die Journalisten schrieben pro Woche jeweils eine Geschichte für den Printtitel und zwei kürzere Geschichten für das Weblog. Mit der Zeit entwickelte sich eine gewisse Dynamik rund um das Blog. Die Journalisten, die anfänglich noch über die Doppelbelastung gestöhnt hatten, entwickelten für das Blog neue Arten von Inhalten. So besuchten sie beispielsweise die lokalen Reiseagenturen und fragten nach den zehn bevorzugtesten Feriendestinationen der Einwohner von Bondy. Oder sie untersuchten in den Internet-Cafés die Browser-History-Listen der besuchten Websites, um so etwas über die Interessen der lokalen Jugendlichen zu erfahren. Dadurch enstanden Beiträge, die sonst nie eine ganze Magazin-Geschichte ergeben hätten und einige Journalisten des Hebdo berichteten, dass sie in gewisser Weisse ihre journalistische Freiheit wieder gefunden hätten.

Nachdem alle Journalisten des Hebdo einmal als Korrespondeten aus Bondy berichtet hatten, stellte sich die Frage nach der Zukunft des Projekts. Man beschloss junge Menschen aus Bondy zu fragen, ob Sie für das Blog schreiben wollten. Aus den Bewerbern wurden 9 Leute mit verschiedensten Hintergründen ausgewählt. Die künftigen Blogger wurden zur Ausbildung eine Woche nach Lausanne eingeladen und begannen danach aus ihrem Leben zu berichten. Dadurch kam Bondy, eine Stadt von 15’000 Einwohnern zu einer eigenen «hyper-lokalen» Zeitung.

Im Kontext der politischen Diskussionen über die sozialen Probleme in den Pariser Vororten gelangte das Bondyblog in Frankreich zu nationaler Berühmtheit. Die traditionellen Massenmedien berichteten über das Projekt, welches den Einwohner aus den brennenden Gebieten unverhofft eine Stimme verlieh («Les filles de Bondy parlent»). Grosse Aufmerksamkeit erlangte das Bondyblog, als es einem ihrer Blogger gelang, an einer Pressekonferenz die persönliche Handynummer von Nicolas Sarkozy zu ergattern. So etablierte sich das Bondyblog im französischen Wahlkampf sozusagen als die «Stimme der Banlieues».

Auf eine Frage wie das Projekt finanziert wurde, erklärte Giussani, der bei l’Hebdo als Berater fungierte, dass die Einnahmen vorallem aus dem Verkauf eines Buches über das erste Lebensjahr des Blogs kamen. Später wurde eine Sponsoring-Deal mit Yahoo abgeschlossen und das Weblog in deren Plattform integriert. Für Giussani zeigt der Erfolg des Bondyblogs, dass der Journalismus in einer «Peer-to-Peer-Welt» sich nicht zwischen alten oder neuen Medien entscheiden müsse. Es gehe vielmehr um Komplementarität und Hybridisierung der Medienformen.

Eine radikale aber interessante Meinung hat Giussani dazu, wie sich Magazine wie l’Hebdo online engagieren sollten. Er empfiehlt, dass Magazine im Gegensatz zu Zeitungen ihre Website auf ein Minimum reduzieren sollen. Die Agenturmeldungen sollen andere verbreiten und die Magazin-Journalisten sollen sich darauf konzentrieren, das bestmögliche Heft zu produzieren. Gleichzeitig sollen die Magazine jedoch allen Journalisten ein Weblog einrichten, das zum Ziel habe, die Beziehung mit den Lesern interaktiver zu gestalten. Diese Idee skizzierte Giussani im letzten Jahr in einem lesenswerten Beitrag.

Weblogs in Europa haben gemäss Giussani noch kaum einen politischen und gesellschaftlichen Einfluss. Die USA sei Europa um zwei Jahre voraus. Obwohl Bundesrat Leuenberger hierzulande kürzlich sein Blogexperiment gestartet habe, spielten Weblogs in der Politik noch keine wichtige Rolle (das meinte am Sonntag auch die NZZ). Am aktivsten in Europa sei die französische Blogosphäre, vielleicht weil die Franzosen die Debatte so lieben.

Die weiteren Etappen des Tages im Kurzdurchlauf:

Nicolas Berg von XING erklärte wie man in fünf Minuten «100’000+ Media Consumers Attention» gewinnen kann. Wichtig seien Empathie, Timing, ein Überaschungseffekt und eine simple Botschaft («KISS»).

Den gelungenen Kontrapunkt zu Bergs Business-Präsentation bildete der Livehack von BenBit. Benbit, der mit Sonnenbrille und Baseball-Cap auftrat, gab seinem Vortrag den Titel «Wie man sich mit einem Blog unbeliebt macht». Vor den Zuschauern demonstrierte er wie einfach es ist Tillate zu hacken. Er wies darauf hin, dass sogenannte XSS-Sicherheitslücken unterschätzt würden und propagierte einen viel restriktiveren Umgang mit Passwörtern und Authentifizierungstools. Cookies sollten regelmässig gelöscht werden und von der Auto-Login-Funktion vieler Website sollte man einen grossen Bogen machen. Die Demonstration von benbit war verblüffend und erhöhte meinerseits die Sensibilität für Sicherheitsfragen. Sein Tonfall («arme Sau», «nach diesem Vortrag werde ich sicher noch unbeliebter sein») wirkte jedoch aufgesetzt und ziemlich arrogant. Nachdem einige Blogger versucht haben die Identität benbits aufzudecken, hat sicher dieser offenbar aus der Blogosphäre zurückgezogen.

Den Abschluss bildete ein Vortrag von Evgeny Morozov von Transitions Online. Er berichtete darüber, welchen Gefahren sich Blogger in Osteuropa oder Zentralasien aussetzen («Blogging from dangerous places»). In Weissrussland beispielsweise stelle sich die Frage nach dem Gegensatz zwischen Blogs und Massenmedien gar nicht. Da die Massenmedien vom Staat kontrolliert werden, erfüllen Weblogs – oder in Weissrussland vorallem die Livejournal-Community – die gesellschaftliche Funktion der traditionellen Medien. Morozov setzt sich für die Ausbildung von Bloggern ein und lehrt diese wie sie online ihre Anonymität wahren können. Ausserdem fördert er den Aufbau einer Infrastruktur ausserhalb von Livejournal, da eine dezentrale Blogosphäre viel schwieriger zu kontrollieren sei. Ein drittes Anliegen ist die Suche nach neuen Geschäftsmodellen und Ideen wie Inhalte lokaler Weblogs an grössere internationale Medien weiterverkauft werden könnten. Die internationalen Medienhäuser hätten in den vergangenen Jahre ihre Korrespondentennetze kontinuierlich abgebaut. Hier könnten lokale Weblogs Abhilfe schaffen und Morozov nennt als Beispiele die Integration von Weblogs auf den Seiten von Reuters Africa oder das Global Voices Weblog.

Neben den Vorträgen war der Tag reich an Begegnungen. Unter anderen traf ich endlich die Herren Medienblogger, Martin Hitz und Ronnie Grob, Jürg Vollmer vom Krusenstern und ich liess mich von Christian Leu fotografieren.